2. Europa und der Mittelmeerraum - Anfang und Mitte des 8. Jahrhunderts
Der Unterschied zwischen Ost- und Westeuropa könnte im 9. Jahrhundert nicht stärker ausfallen. Während unter den Karolinger das fränkische Reich stark feudalistisch geprägt war und sich in seiner Wesensgestalt kaum änderte, war Osteuropa ein Schmelztiegel verschiedenster Kulturen und Stämmen. Khaghanate, slawische Siedler und Waräger teilten sich über das Jahrhundert verteilt Osteuropa in den verschiedensten Konstellationen untereinander. Ein mit dem Frankenreich vergleichbarer Staat existierte nie. Westeuropa war nicht nur politisch nahezu eine Einheit, sondern auch religiös. Sieht man von den muslimischen Mauren auf der iberischen Halbinsel ab, so war Westeuropa katholisches Kernland. Jeder Kulturraum in Osteuropa besaß auch seine eigene - und von ebenso wichtiger Bedeutung: nicht-organisierte - Religion. Die Ausgangslage in West und Ost konnten nicht verschiedener sein, als sie es zu Beginn unserer Geschichte ist.
Großreiche in West- und Osteuropa um 865 herum.
Nach einer 46 Jahre andauernden Herrschaft starb Karl der Große 814 in Aachen. Gemäß fränkischer Tradition, die Teilung des Reiches auf die Erben, legte Karl 806 in der Divisio Regnorum die Aufteilung des Frankenreiches fest. Sein Testament sah vor, dass seine Söhne Pippin, Ludwig dem Frommen und Karl dem Jüngeren je einen Teil des Reiches erben sollte. Da jedoch Pippin (†810) und Karl der Jüngere (†811) bereits vor Karl ablebten, erhob Karl seinen Sohn Ludwig 813 zum Mitkaiser und dieser übernahm schließlich mit dem Ableben seines Vaters alle kaiserlichen Rechte.
Anders als sein Vater hielt Kaiser Ludwig an der Reichseinheit fest und ernannte seinen Sohn Lothar zum Alleinerben des Reiches. Das dies nicht im Sinne seiner übrigen Söhne passierte zeigten militärische Auseinandersetzungen zwischen dem Kaiser und seinen Söhnen ab 829. Ludwig konnte sich auf die Bischöfe und den Klerus im Land stützen, da sowohl er als auch die Kirche die Einheit des Reiches als Gegenstück zur Einheit der Kirche sahen. Obwohl Lothar nach dem Tod seines Vaters 840 die Kaiserwürde übernahm, entschieden sich seine Söhne wenige Jahre später das Frankenreich aufzuteilen. 843 entstand der Vertrag von Verdun, die die Teilung des Reiches wie folgt vorsah:
das Westfrankenreich an Karl des Kahlen
das Mittelreich (Lotharii Regnum) an Lothar I.
das Ostfrankenreich an Ludwig den Deutschen
Das Mittelreich zerfiel schließlich mit dem Ableben Lothars in das Königreich Lothringen und Italien. Obwohl die Reiche noch durch dynastische Bände verbunden waren, so zerfiel das Frankenreich in schließlich in mehrere Einzelteile. Zu diesem Zeitpunkt war ersichtlich, welche Mächte Westeuropa dominieren sollten.
Das byzantinische Kaiserreich im Südosten erlitt in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts schwerwiegende Niederlangen. Der Wechsel zwischen starken und schwachen Kaiser brachte Unruhe in das Reich und so mussten es Grenzgebiete abtreten - einige auf kurze Zeit, andere dauerhaft. Sowohl die Bulgaren auf dem Balkan als auch die Muslime in Asien nagten an der Stabilität des Kaisersreiches. Die Kalifen der Abbasiden-Dynastie, deren Einfluss von Nordafrika bis nach Zentralasien reichten, herrschten als weltliche und religiöse Oberhäupter von Bagdad aus. Auf der iberischen Halbinsel konnten eine christliche Rebellion sich den Muslimen wiedersetzen und vertriebe diese aus Galizien. Eine zähe und mühsame Rückeroberung Iberiens durch die Christen steht bevor.